Roland Appel<p><strong><a href="https://extradienst.net/?p=97211" rel="nofollow noopener" target="_blank">Grau, grau, grau</a></strong></p><p>Ich gehöre zu den wenigen verbliebenen Fossilien, die sich noch ein analoges, physisches Zeitungsabonnement leisten. Bei mir ist es der Kölner Stadtanzeiger, ehemals eine vielseitige, linksliberale Zeitung, als Herausgeber, Patriarch und FDP-Mitglied Alfred Neven Du Mont noch am Steuer sass. Heute eher ein Mainstreamblättchen mit konservativem Fokus. Trotzdem: Ich genieße es, sie morgens aus dem Briefkasten zu fischen und den Tag mit Druckerschwärze zu beginnen. Allerdings lässt dieses Vergnügen in den letzten Jahren spürbar nach.</p><p>Woran liegt das? Der ehemalige Herausgeber steht zwar noch namentlich im Impressum, aber er ist schon zehn Jahre tot. Seine Nachkommen tragen zwar seinen Namen, sind jedoch alles andere, als leidenschaftlich engagiertem Journalismus zugewandt. Sie interessiert umso mehr die Rendite, der in den letzten zwei Jahrzehnten immer mehr Redakteurinnen und Redakteure in Gestalt von Stellenstreichungen und Einsparungen zum Opfer gefallen sind. Vor einem knappen Jahr haben die Eigner sogar die eigene Druckerei liquidiert mit der Folge, dass das angenehm kompakte Zeitungsformat aufgrund des Drucks bei der Koblenzer “Rheinzeitung” verschwand und ebenso unhandlich geworden ist, wie der Bonner “Generalanzeiger”.</p><p><strong>Journalistische Vielfalt: Fehlanzeige</strong></p><p>Man übernimmt von ebendiesem auch den Bonner Lokalteil <a href="https://extradienst.net/2018/04/28/general-anzeiger-verkauf-aus-angst-vor-dem-tod/" rel="nofollow noopener" target="_blank">des inzwischen zur “Rheinischen Post” gehörenden</a>, früheren Familienbetriebs und Hauptstadtblatts mit konservativem Touch. Die politische Redaktion gehört inzwischen auch zum vorwiegend konservativen Berliner journalistischen Zirkus. Weil etwa Kristina Dunz, Alisha Mendgen und Markus Decker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) angehören, ebenso wie Eva Quadbeck, die ursprünglich für die rechtskonservative “Rheinische Post” schrieb. Natürlich sitzen Quadbeck und Dunz regelmäßig in den “Politiksimulationen” bei Maischberger, Markus Lanz und Maybrit Illner.</p><p><strong>Publizistischer Einheitsbrei</strong></p><p>Kein Wunder also, dass sich so ein publizistischer Einheitsbrei der Berichterstattung, vor allem aber auch der Kommentare entwickelt hat. So ist etwa ein deutlicher Aufschrei, den es vermutlich früher zumindest im “Kölner Stadtanzeiger” gegen die Behandlung der Juristin und Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf gegeben hätte, ausgeblieben. Frau berichtete und kommentierte lau, gesittet, nicht ohne nebenbei zu erwähnen, dass der Rückzug der Kandidatin, zu dem sie sich dann letztendlich gezwungen sah, eine gute Lösung sei. Die Ungeheuerlichkeit des Vorgehens der rechten CDU/CSU-Abgeordneten und ihres Protagonisten Spahn wurde weder klar verurteilt, noch die rechtsextremen Kampagnen von selbsternannten Lebensschützern und der AfD nahestehenden asozialen Medien überhaupt nur erwähnt.</p><p><strong>Selbst Woelki bleibt nahezu unbehelligt</strong></p><p>Und das in der Stadt des unsäglichen Pfarrers Woelki, der den Opfern von sexuellem Mißbrauch nicht nur Entschädigungen verweigert, nachgewiesen Falschaussagen macht und sogar gegen sie klagen lässt, und der – von der Lokalpresse bis auf seltene Ausnahmen unbehelligt – weiter sein Unwesen treibt. Nur Joachim Frank, inzwischen auch journalistischer “Oldie”, leuchtet ihm regelmäßig publizistisch heim. Dazu wird im Wirtschaftsteil über die örtlichen Unternehmen, wie etwa Bayer in Sachen Glyphosat, oder die Umweltverseucher nach dem Unfall im sogenannten “Chempark”, der Giftmüllverbrennungsanlage in Leverkusen, lange auch die Zerstörer des “Kaufhof”, von Nicolas Berggruen bis René Benko, unkritisch und zumeist im Unternehmensinteresse berichtet.</p><p><strong>Redakteure allein zu Haus</strong></p><p>Vor etwa zwei Monaten überraschte mich der Stadtanzeiger jedoch positiv. Ich gehöre, hieß es in einer Email-Einladung, zu den treuesten Abonnenten und Lesern der Zeitung, und die wolle man mal kennenlernen und deshalb im Juli zu einem Empfang im Kölner Pressehaus einladen, um bei dieser Gelegenheit mit der Chefredaktion zu plaudern. Hm, dachte ich, da wird es wohl eng werden, da ich das große Foyer von früheren Besuchen her kenne. Drei Tage vor dem Termin wurde das Event abgesagt. Es hatten sich nicht genügend Gäste angemeldet.</p><p><strong>Grau in Grau</strong></p><p>Vielleicht ist es die Linie der Zeitung, vielleicht spiegelt sie aber auch einfach die gesellschaftlichen Verhältnisse wider. Auch in den werbenden Beilagen des Blatts – besonders im Bereich der Möbel und Einrichtungen – beobachte ich, dass immer stärker Grau dominiert. Graue Möbel, graue, Kleider, und graue Autos. Grau in allen Schattierungen.</p> <p class="">Über Roland Appel:</p><p class="">Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Roland_Appel_(Politiker)" rel="nofollow noopener" target="_blank">Mehr über den Autor...</a>. Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: <a href="https://bonn.social/@rolandappel@extradienst.net" rel="nofollow noopener" target="_blank">@rolandappel@extradienst.net</a></p><p class=""><a href="https://extradienst.net/author/roland-appel/" rel="nofollow noopener" target="_blank"></a><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Roland_Appel_(Politiker)" rel="nofollow noopener" target="_blank"></a></p>